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Marcus Dury ist Fachanwalt für IT-Recht. Seine Kanzlei DURY LEGAL Rechtsanwälte in Saarbrücken arbeitet schwerpunktmäßig in den Bereichen des Wirtschaftsrechts, darunter IT-Recht, Markenrecht, Wettbewerbsrecht und Urheberrecht. Mit seiner Expertise in Sachen Datenschutz und seiner Faszination für technologische Entwicklungen im Rechtsbereich hat er einen guten Überblick über die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in Kanzleien
Künstliche Intelligenz in Kanzleien macht Anwälte zu strategischen Beratern
Künstliche Intelligenz in Kanzleien macht Anwälte zu strategischen Beratern
Marcus Dury

Künstliche Intelligenz ist in deutschen Unternehmen auf dem Vormarsch und ein vieldiskutiertes Thema in der Berufswelt. Wie sieht das bei den Juristen aus? Müssen Anwälte um ihren Job fürchten? 

Marcus Dury: Ich starte mal mit der berühmten Juristenantwort „Das kommt darauf an“. Der Berufsalltag von Anwälten wird sich stark verändern, das steht fest. Man muss aber unterscheiden zwischen dem sog. „Feld-Wald-Wiesenanwalt“ und den spezialisierten Anwälten und Wirtschaftsanwälten. Für den Feld-Wald-Wiesenanwalt als Universalisten wird es extrem schwer. Viele seiner Mandanten werden sich von einer Online-KI wie der ChatGPT verarzten lassen und im Zweifelsfall gar nicht mehr zum Anwalt gehen. Auch routinemäßige Fälle und Sachverhalte, Schadenabwicklungen bei Verkehrsunfällen etwa, werden weiter automatisiert. Ich gehe davon aus, dass sog. Legal-Tech-Lösun, die man einfach online beauftragen kann, viele Mandate von Verbrauchern absahnen werden, z.B. im Mietrecht, Arbeitsrecht oder Verkehrsrecht.

Die wenigsten Veränderungen haben spezialisierte Anwälte für Verbraucher zu befürchten, Kolleginnen und Kollegen, die viele Rechtsstreitigkeiten führen. Sie werden KI eher als Assistenzsystem nutzen, beispielsweise um in einer Akte Sachverhalte zusammenzufassen und aufzubereiten. Wirtschaftsanwälte, die für Unternehmen komplexe Verträge verfassen und sie in komplexen Projekten beraten, nutzen bereits heute zur Vertragserstellung oder für das Zusammenfassen von Sachverhalten eine KI; Arbeiten, die bislang zuarbeitende Juristen, vor allem junge Anwälte (Junior Associates), vorbereitetet haben. Selbst wenig spezialisierte KI-Systeme liefern hier schon verblüffend gute Ergebnisse. Experten rechnen damit, dass in Zukunft 40 Prozent der Tätigkeiten in einer wirtschaftsberatenden Anwaltskanzlei wegfallen, weil sie durch eine KI erledigt werden. Dabei handelt es sich zu 90 Prozent um reine Zuarbeit wie das Erstellen von Vertragsentwürfen. Ein sog. Counsel oder Partner schaut dann noch mal drüber und zieht glatt, fertig! Meine Kanzlei DURY LEGAL zählt zu der letzten Gruppe, den Wirtschaftskanzleien. Angst habe ich vor den Veränderungen aber nicht. Angesichts des Fachkräftemangels steckt in KI eine riesige Chance, den Fachkräftemangel zu bekämpfen und insgesamt effizienter zu werden. Deshalb mein Tipp für den Anwaltsnachwuchs: Gute Leute werden immer gesucht! Spezialisiert euch frühzeitig und baut ein Netzwerk auf.

"Die heutigen Kl-Systeme wie ChatGPT sind generative LLM-Systeme, also große Sprachmodelle, die Text anhand statistischer Wahrscheinlichkeiten erschaffen, ähnlich wie es unser Gehirn in den gängigen Sprachmodellen auch macht."

Daher kann man sagen: Um ihren Job müssen Anwälte nicht fürchten. Vielmehr wird es so sein, dass es in Zukunft keine Anwälte mehr geben wird, die keine KI-Systeme benutzen.

Welche Rolle spielen Kl-Technologien und -Software heute in Kanzleien und wie hat sich diese Rolle in den letzten Jahren entwickelt?

Marcus Dury: Ich denke, viele alteingesessene Kanzleien verschlafen das Thema komplett und haben noch überhaupt nicht verstanden, welche Auswirkungen diese Technik auf den Anwaltsalltag haben wird. Erst im Juni 2023 war ich in Stockholm auf einer Anwaltskonferenz. Dabei ging es auch um das Thema „KI-Einsatz in Kanzleien“. 90 Prozent der Anwälte hatten selbst ChatGPT noch nicht einmal ausprobiert. Das könnte natürlich daran liegen, das KI in den vergangenen Jahren auch einfach nicht relevant war, weder innerhalb klassischer Kanzleisoftware noch im Bereich der rechtlichen Recherche ober bei sonstigen Assistenzsystemen.

Inzwischen starten aber immer mehr Legal-Tech-Anbieter mit Angeboten, die KI-Systeme über Schnittstellen anbinden und spezielle Assistenzsysteme für Anwälte anbieten, zum Beispiel einen speziellen Chatbot für die Anwaltswebsite. Auch im Bereich der Recherche wird sich viel tun. Wir selbst arbeiten gerade an einer DURY LEGAL KI, die alle unsere Akten der letzten 13 Jahre kennt und die uns als virtueller Mitarbeiter Entwürfe erstellt und Fragen beantwortet. Für alle Mitarbeiter innerhalb unseres Firmenchats nutzen wir bereits eines der verfügbaren KI-Systeme als virtuellen KI-Assistenten.

Gibt es Bereiche, in denen Sie den Einsatz Künstlicher Intelligenz in Kanzleien für besonders vielversprechend halten?

Marcus Dury: Die heutigen KI-Systeme wie ChatGPT sind generative LLM-Systeme, also große Sprachmodelle, die Text anhand statistischer Wahrscheinlichkeiten erschaffen, ähnlich wie es unser Gehirn in den gängigen Sprachmodellen (z. B. Deutsch, Englisch, Spanisch, etc.) auch macht. Zukünftig werden KI-Systeme den Bereich der Vertragserstellung übernehmen. Anwälten obliegt dann neben der Vertragshaftung weiterhin eine Kontrollfunktion, um mögliche Fehler der KI zu beheben. Was das am Ende für das in Wirtschaftskanzleien übliche Abrechnungsmodell auf Stundensatzbasis bedeutet, bleibt abzuwarten. Ich vermute aber, dass es in ein paar Jahren zumindest im Bereich der Vertragserstellung Geschichte sein wird. Ein Vertrag, der früher zehn Stunden beanspruchte, dauert in Zukunft dann nur noch drei Stunden. Viele Kanzleien, die in diesem Bereich tätig sind, werden ihr Geschäftsmodell ändern müssen.

Zudem wird es schon bald Systeme geben, die ganze Akten mit Hunderten Dokumenten lesen und präzise zusammenfassen können; unterteilt nach interaktiven Zeitstrahlen oder mit Übersichten über die beteiligten Personen, Firmen und deren Rollen. Ggf. geben die Systeme auch schon in Gutachtenform erste rechtliche Einschätzungen zu einem Sachverhalt ab, den die KI vorher aufbereitet hat.

Was sind die größten Herausforderungen beim Einsatz von Kl-Technologien in Kanzleien?

Marcus Dury: Das technische Verständnis der meisten Kanzleien geht gegen Null. Viele Kanzleien arbeiten noch mit Papierakten. Damit kann eine KI nichts anfangen. Letztlich besteht die Herausforderung darin, die Kanzlei zu digitalisieren und anschließend den richtigen Lösungsanbieter zu finden, der einem hilft, die passenden KI-Assistenzsysteme in den Arbeitsalltag der Kanzlei zu integrieren. Momentan gibt es noch recht wenige marktfähige Lösungen, diese werden aber sehr schnell auf den Markt drängen. In den USA sind bereits die ersten Lösungen breit verfügbar, zum Beispiel CoCounsel von Casetext (casetext.com).

Wie können Kanzleien diese Herausforderungen bewältigen?

Marcus Dury: Für die meisten Kanzleien kann das nur mit spezialisierten Beratern gelingen, die wissen, welche KI-Lösungen bereits verfügbar sind und wie man sie in bestehende Kanzleiabläufe integriert, ohne Befindlichkeiten einzelner Anwälte zu verletzen. Ich denke aber, dass heute viele Anwälte vom Mindset her dazu noch gar nicht bereit sind. Es ist ja auch kein besonders angenehmer Gedanke, wenn man weiß, dass ein Computer einen besseren Vertrag in zehn Sekunden generiert als man selbst, der das schon seit 30 Jahren macht. Reduziert zu werden auf jemanden, der nur noch kontrolliert und berät, das kann zum Problem werden, vor allem dann, wenn man vorher alles selbst gemacht hat. In Wirtschaftskanzleien ist das eher weniger ein Problem, weil die alten Hasen ohnehin schon immer eine kontrollierende und strategisch beratende Funktion haben, die die Zuarbeit von jüngeren Anwälten kontrolliert. Ob die Zuarbeit dann von einer KI statt eines Menschen kommt, ist da eher sekundär.

Welche rechtlichen und ethischen Fragen und Probleme ergeben sich aus dem Einsatz von Kl-Technologien in der Kanzlei? 

Marcus Dury: Rechtlich gesehen extrem relevant sind das Datenschutzthema und das Berufsrecht. Als Anwalt kann ich nicht einfach meine Mandantendaten zu einem Anbieter in die USA schicken, der sich überhaupt nicht um das Europäische Datenschutzrecht und das Deutsche Anwaltliche Berufsrecht kümmert. Das Urheberrecht wird am Rande ebenfalls tangiert, wobei hier eher der Grundsatz gilt, was die KI erzeugt hat, kann keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Ethisch sehe ich ein Problem, wenn man die KI die Entscheidungen treffen lässt und nicht der Anwalt die Beratung des Mandanten übernimmt. KI sollte immer nur als Assistenzsystem genutzt werden, nicht als automatisiertes Entscheidungsfindungssystem.

Wie können sich Anwältinnen und Anwälte am besten auf den technologischen Fortschritt vorbereiten und ihre Fähigkeiten im Umgang mit Kl-Technologien weiterentwickeln? 

Marcus Dury: Einfach mal eines der verfügbaren KI System ausprobieren, z.B. hier: chat.lmsys.org/?arena, und sich dann mal mit dem Thema „Legal Prompting“ auseinandersetzen, z.B. hier: www.ki-in-kanzleien.de/die-zehnbesten-prompts-fuer-chatgpt-kanzleien/.

Welche zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz erwarten Sie in der Rechtsbranche?

Marcus Dury: Immer mehr Anbieter, z.B. RA-Micro, DATEV, Beck-Online oder Juris, werden KI-Technologien in ihre Software einbauen. Große Anbieter werden schwerfälliger agieren, andere schneller sein. Zudem werden zahlreiche Start-ups zeitnah Lösungen für Rechtsabteilungen und Kanzleien auf den Markt bringen, z.B. der Anbieter des Chatbots Jupus (www.jupus.de). In der Entwicklung ist außerdem ein System, ähnlich wie das bereits erwähnte System „CoCounsel“ aus den USA, das in den kommenden ein, zwei Jahren auf den Markt kommt und in der Lage sein wird, eine komplette Akte vorzubereiten, dabei eigenständig relevante Rechtsprechung recherchiert und einen rechtlichen Beratungsansatz bzw. Lösungsvorschlag erarbeitet.

Welche Auswirkungen könnten diese Entwicklungen auf die Arbeit der Juristinnen und Juristen haben?

Marcus Dury:
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Technik für alle Verarbeiter von Informationen, und dazu gehören Juristen im Speziellen, einen extremen Einfluss haben wird. Die Technik ist vergleichbar mit der Erfindung des Heimcomputers, des Internets oder des Smartphones. Als das Internet erfunden wurde, konnte man sich auch nicht vorstellen, was wir heute damit alles machen. So wird es auch mit KI-Techniken sein. Momentan befinden wir uns - übertragen auf die Heimcomputer - im Jahr 1982 und sitzen vor einem kleinen schwarzen Monitor mit grüner Schrift. Die Erwartungshaltung von Mandanten und die Abrechnungsmodelle von Kanzleien werden sich ändern. Die Aufgaben verlagern sich hin zu einer strategischen Beratung und zur Kontrollinstanz der Kanzlei-KI. (cms)