Klima- und Energiekrise haben dem Thema Wasserstoff neue Relevanz gegeben. „Wasserstoff ist die Kohle der Zukunft“, so formuliert es Andree Haack, der in den vergangenen Jahren in Duisburg tätig war. Wobei er ihn nicht hinsichtlich der Umweltverträglichkeit mit fossilen Energieträgern gleichsetzen will, sondern hinsichtlich seiner Bedeutung. Wasserstoff ist zwar nicht der einzige Weg, der zur angestrebten Klimaneutralität führt, da sind sich die Teilnehmer des Runden Tisches einig. Aber ohne ihn wird es nicht gehen.
Nicht das Gas hat sich verändert, sondern seine Bedeutung für die Welt
Was ist eigentlich das Neue am Wasserstoff? „Wasserstoff ist ein ganz normales Gas, das gibt es schon sehr lange. Auch wenn man manchmal das Gefühl hat, dass es gerade neu erfunden wurde“, sagt Prof. Thorsten Schneiders, seit neun Jahren Professor für Energiespeicherung an der Technischen Hochschule Köln. Nicht das Gas hat sich verändert, sondern seine Bedeutung für die Welt. Schließlich sei Wasserstoff ein Energieträger mit enorm großem Potenzial. Unter anderem kann er Brennstoffzellen antreiben. Und die ließen sich eigentlich überall einsetzen, wo heute ein Motor ist.„Mit Wasserstoff wird der Verkehr leiser und emissionsärmer“, so Schneiders weiter. Aber nicht nur das: „Wasserstoff ist offizielles Klimaschutzgas. Es wird weltweit als Hoffnungsträger gesehen.“ Allerdings hat es nicht nur Vorteile. Man könne Wasserstoff zwar „aus einem Rohstoff erzeugen, der eigentlich überall verfügbar ist, nämlich aus Wasser“, sagt Andree Haack. Und außerdem brauche man eigentlich nur Strom – „davon aber relativ viel“.
Anspielung auf Jules Verne
Wenn Haack Wasserstoff als „Kohle der Zukunft“ bezeichnet, spielt er damit an auf Jules Verne. Der Schriftsteller, eher bekannt für Romane wie „20.000 Meilen unter dem Meer“, schrieb vor 150 Jahren auch das Buch „Die geheimnisvolle Insel“. In dem Science-Fiction von 1874/75 lässt er den Ingenieur Cyrus Smith sagen: „Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“
Diese Verheißung rückt nun weiter in den Bereich des Möglichen. Jules Vernes Ingenieur erklärt auch, wie Wasserstoff hergestellt wird: Wasser wird zerlegt in seine Bestandteile. Eben mit relativ viel Strom. Schließlich hat man bei der Elektrolyse einen recht hohen Energieverlust. Es gilt als unwahrscheinlich, dass ausreichend Wasserstoff in Deutschland produziert werden kann. Ein großer Anteil wird aus dem Ausland importiert werden müssen. Aus Ländern mit günstigeren Bedingungen. Aus Nordafrika, aus Spanien und Portugal etwa, wo häufiger die Sonne scheint. Oder vielleicht aus Offshore-Windparks in Brasilien.
„Beim Wasserstoff, wie heute bei Gas oder Strom, werden wir als Nation mit hoher industrieller Wertschöpfung auch langfristig Importeur bleiben“, sagt André Schmidt. „Viel Wasserstoffimport wird nötig sein“, prophezeit auch Chemie-Ingenieur Carsten Krause. Der ehemalige Geschäftsführer des Technologiezentrums in Hürth arbeitet jetzt für das französische Unternehmen Elogen, einen Hersteller von Wasserstoffanlagen. Das klingt nach neuen Abhängigkeiten. Und das, während die deutsche Wirtschaft gerade versucht, die Abhängigkeit von russischem Gas zu überwinden. Das weiß auch Krause. Dennoch werde man nicht vom Regen in die Traufe kommen: „Wir machen uns nicht abhängig von einem einzigen Land, sondern wir werden 50 oder 60 Lieferanten haben.“
Aufwendig, also teuer
Wasserstoff wird also über weite Strecken zu transportieren sein. Auf den weiteren Wegen per Schiff, auf den etwas kürzeren per Pipeline. Da Wasserstoff ein sehr leichtes und flüchtiges Gas ist, muss man es stark komprimieren. Oder in einen anderen Aggregatzustand bringen, etwa zur Flüssigkeit machen. Das alles ist aufwendig, also teuer.
Und man braucht dazu eine Infrastruktur, die es so noch nicht gibt; auch wenn man Erdgas-Pipelines umnutzen kann. Denkbar ist etwa, dass der Wasserstoff im Schiff an die großen Seehäfen wie Rotterdam und Antwerpen gebracht und dann per Pipeline innerhalb von Europa verteilt wird. „Köln und die Region müssen sich da als Standort positionieren, um in diese neuen Netze eingebunden zu werden“, fordert der Dezernent Haack. „Gleichzeitig müssen wir uns fragen: Welche strukturellen Maßnahmen müssen wir darüber hinaus einleiten, damit das Rheinland vom Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft profitiert?“
Wir fangen bei der Infrastruktur nicht erst bei Null an
Zum Thema Wasserstoff-Infrastruktur habe er eine gute Nachricht, meldet sich Dr. Frank Benzel zu Wort, Projektmanager beim Netzwerk „HyCologne – Wasserstoff Region Rheinland e. V.“: „Wir fangen nicht erst bei Null an. Es wurde schon untersucht, wie eine zuverlässige und kostengünstige Verteil-Infrastruktur für Wasserstoff im Großraum Köln realisiert werden könnte.“ Unter Federführung von HyCologne e.V. sei hierzu erst kürzlich eine Machbarkeitsstudie fertiggestellt worden. Sie komme zu dem Ergebnis, dass der Aufbau einer entsprechenden Pipeline-Infrastruktur technisch machbar sei, auch zu vernünftigen Investitionskosten.
„Wir denken dabei einen Pipelinering, über den links- wie rechtsrheinisch Wasserstoff entnommen und eingespeist werden kann“, so Benzel weiter. Der studierte Maschinenbauer arbeitet als freiberuflicher Ingenieur. Durch die Anbindung des Pipelinerings an die geplanten überregionalen Transportleitungen könne Wasserstoff aus anderen Landesteilen oder Übersee-Importen genutzt werden.
Region ist gut aufgestellt
Prof. Schneiders von der TH Köln sieht die Region gut aufgestellt: „Der Kölner Raum bietet viele Chancen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und hat bereits eine sehr vielfältige Wasserstoffszene mit Akteuren aus Wirtschaft, Kommunen, Hochschulen und Forschungsinstitutionen.“ Hervorzuheben sei die gute Vernetzung, die beispielsweise über HyCologne und die KölnBusiness Wirtschaftsförderung, eine Tochtergesellschaft der Stadt Köln, betrieben werde.
Immer das gleiche farblose Gas mit den gleichen Eigenschaften
Welche Farbe hat eigentlich Wasserstoff? Thorsten Schneiders sagt dazu als Wissenschaftler: „Was bei der Elektrolyse entsteht, ist immer das gleiche farblose Gas mit den gleichen Eigenschaften.“ Die Farbe sieht man dem Wasserstoff also nicht an, die Farbe ist eher Attribut, das beschreibt, wie es hergestellt wurde. „Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Energien erzeugt, über einen Dampfreformierungsprozess etwa in einer Raffinerie“, so Schneiders. „Bei der Produktion entweicht Kohlendioxid, so gesehen ist das klimaschädlicher Wasserstoff.“
100 Prozent erneuerbare Energien
Momentan scheint sich allerdings alles um einen Wasserstoff zu drehen: den grünen. Andreas Feicht, der neue Stadtwerke-Chef, sagt: „Als sogenannter grüner Wasserstoff gilt er, wenn dabei zu 100 Prozent erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. Es gibt weitere verschiedene Abstufungen, je nach Ausgangsenergie.“ Marcel Corneille, geschäftsführender Gesellschafter des Ingenieurbüros EMCEL GmbH, ist seit 25 Jahren im Thema Wasserstoff unterwegs, früher arbeitete er bei Daimler in der Entwicklung von Brennstoffzellenantrieb. Er sagt: „Eine offizielle Definition von grünem Wasserstoff steht aus. Offiziell gibt es ihn also noch gar nicht, aber alle reden davon.“
Pascal Louvet ist dem Runden Tisch per Teams aus Mannheim zugeschaltet. Er ist Country Sales Manager Germany für die Lhyfe GmbH. Das französische Unternehmen bezeichnet sich als Anbieter von grünem Wasserstoff; von Wasserstoff, „bei dessen Herstellung und Vertrieb keine CO2-Emissionen anfallen“. Louvet sagt: „Bei Lhyfe kriegen wir den Strom für unseren Wasserstoff direkt aus erneuerbaren Energien, sodass wir sicher sein können, grünen Strom zu nutzen und keinen Atomstrom.“
Rund um Köln ist die Situation eine besondere. In der Region gibt es viele Chemie- und Petrochemiewerke. In einigen Produktionsprozessen fällt Wasserstoff als Nebenprodukt an. Seit elf Jahren gibt es eine Tankstelle in Hürth-Knapsack, an der bis heute Omnibusse mit Nebenprodukt-Wasserstoff aus dem benachbarten Chemiepark betankt werden. Eine Initiative unter anderem von Regionalverkehr Köln, der Technischen Hochschule und – wieder – HyCologne.
Ein deutlich besserer CO2-Fußabdruck als grauer Wasserstoff
„Gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich haben wir ausgerechnet, dass dieser Wasserstoff einen deutlich besseren CO2-Fußabdruck hat als grauer Wasserstoff“, sagt Projektmanager Frank Benzel. Da Nebenprodukt-Wasserstoff in einigen Fällen von den Betrieben nicht anderweitig genutzt werden könne, sei er trotz der Aufbereitung und Komprimierung sehr kostengünstig. „Damit können bereits heute Wasserstoffprojekte angeschoben werden, die später mit grünem Wasserstoff weitergeführt werden.“
Weder eindeutig noch einfach
Die Sache mit dem grünen Wasserstoff ist also nicht so eindeutig, einfach ist sie erst recht nicht. Wer sich jedem Wasserstoff verschließt, der nicht grün ist, nimmt sich viele Chancen, findet auch André Schmidt von Toyota. Der Toyota Mirai gehört übrigens zu den Brennstoffzellen-Fahrzeugen, die sich weltweit am häufigsten verkaufen. Schmidt plädiert dafür, beim Infrastrukturausbau jetzt voranzugehen. „Wenn wir erst loslegen, wenn der Wasserstoff zu 100 Prozent grün ist, geht es auf dem Weg zur vollständigen Dekarbonisierung nicht schnell genug voran und es fehlen uns wertvolle Erfahrungswerte.“
Keineswegs solle man abwarten, bis es eine vermeintlich perfekte Lösung gibt, so Schmidt. „Um einen möglichst großen Effekt auf die Umwelt zu realisieren ist es sinnvoller, schnell viele Projekte zu realisieren, die in die richtige Richtung gehen, als auf den großen Durchbruch zuwarten und bis dahin nichts zu tun.“Auf grüne Leuchtturmprojekte sollte man derweil nicht verzichten: „Sie sind ein geeignetes Mittel, um zu lernen und zügig eine kritische Masse von Anwendungen in Richtung Wasserstoffgesellschaft aufzubauen.“
Mehr als nur ein Weg
Die Europäische Union will die Treibhausgasneutralität bis 2050 erreichen, Deutschland mit dem verschärften Klimaschutzgesetz bis 2045. Das Ziel steht fest, der Weg dahin nicht. Und es wird nicht nur einen Weg geben. „Noch ist der Gedanke verbreitet: Wir machen ein Ding zu hundert Prozent, und damit sind wir fertig“, sagt Marcel Corneille. „Richtig ist aber: Wie machen 150 oder 1000 verschiedene Dinge und alle tragen ein bisschen zur Erreichung des Ziels bei.“ Am Ende werde es nicht nur Strom- oder nur Wasserstoff geben, sondern einen Mix verschiedener Ansätze.
„Bei den Autobauern gibt es gerade die Diskussion: Setzt sich die Batterie durch oder der Wasserstoff? Ich denke, beides“, sagt Beigeordneter Haack. „Denn beides hat seine Vor- und Nachteile.“ Ein Vorteil von Wasserstoff sei, man müsse nicht drei Stunden warten, bis das Auto aufgeladen ist, das gehe deutlich schneller. Hemmnis seien derzeit noch die höheren Baukosten und der Preis für den Wasserstoff. „Aber der Markt ist groß genug, dass sich mehrere Systeme etablieren können.“
Heute anfangen und nicht auf Morgen warten
Pascal Louvet von Lhyfe ist nicht für die eine, große Lösung, sondern „für dezentrale Lösungen und den Ausbau von regionalen Clustern, in denen Wasserstoff nur über hundert Kilometer transportiert werden muss.“ Damit spare man sich die Investitionen in eine neue Infrastruktur. „Dezentrale Lösungen erlauben es uns, unsere grüne Wasserstoffwirtschaft heute anzufangen und nicht auf Morgen zu warten.“
Wasserstoff ist alternativlos
Wasserstoff, gerade grüner, ist teuer. „Keiner, der CO2-freien Wasserstoff verwenden möchte, kann das heute wirtschaftlich tun“, sagt Andreas Feicht. „Alle Wasserstoffprojekte, die im Moment angestoßen werden, sind letztlich Förderprojekte.“ Der Staat fördert so die technische Innovation. Insgesamt gebe es „viel Innovationsgeist“ in der Branche, sagt Andree Haack. Daher glaube er, dass sich die Wirtschaftlichkeit von Wasserstoff bald wesentlich verbessern werde. „Auch wenn die Produktion und der Transport von Wasserstoff sehr teuer sind, gibt es keine echte Alternative, um unsere Wirtschaft CO2-frei zu organisieren.“
Die Teilnehmer des Wasserstoff Dialogs
„Wir wollen die Wasserstofftechnologie in der Region weiter voran bringen und Kompetenzen bündeln.“
Dr. Frank Benzel, Projektmanager, HyCologne – Wasserstoff Region Rheinland e. V.
„Beim Strom war es ähnlich. Inzwischen kommt etwa die Hälfte aus erneuerbaren Quellen.“
Marcel Corneille, Managing Director, EMCEL GmbH
„Welche Technologie sich am Ende durchsetzt, ist eine Frage des Wettbewerbes am Markt.“
Andreas Feicht, Vorsitzender der Geschäftsführung, Stadtwerke Köln
„Der Druck, die Klimaneutralitätsziele zu erreichen, war nie so groß wie jetzt.“
Andree Haack, Dezernent für Stadtentwicklung, Wirtschaft, Digitalisierung und Regionales, Stadt Köln
„Es gab schon viele Veränderungen im Mobilitätsverhalten – und es wird weitere Veränderungen geben“
Carsten Krause, Geschäftsführer, Elogen GmbH
„Wir müssen uns bemühen, sofort mit dem grünen Wasserstoff anzufangen.“
Pascal Louvet, Business Development, Lhyfe GmbH
„Ohne Wasserstoff kommt die Energiewende nicht, und ohne die wird die Verkehrswende nicht gelingen.“
André Schmidt, President, TOYOTA Deutschland GmbH
„Wasserstoff hört auf, was Exotisches zu sein. Das wird Mainstream werden.“
Prof.Dr.-Ing.Dipl.-Ing. Thorsten Schneiders, Leiter des virtuellen Instituts „Smart Energy“, TH Köln
Der Runde Tisch
Der Runde Tisch ist eine Veranstaltung des Medienhauses DuMont Rheinland. Regelmäßig bitten „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Kölnische Rundschau Spitzenvertreter verschiedener Wirtschaftszweige und Institutionen zum informellen Austausch. Die Gesprächsrunden finden zu überregionalen und lokalen Themen statt.