Pandemiemanagement im föderalen Wirrwarr
Einen solchen Rückblick also versucht nun die Runde in Köln. Professor Frank M. Baer, Ärztlicher Direktor des St. Antonius Krankenhauses und Chefarzt der Medizinischen Klinik und des Kölner Kardio-Diabetes Zentrums zieht als Kardiologe und Intensivmediziner ein durchwachsenes Fazit: „Wie wir durch die Pandemie gekommen sind ist auch eine Frage des Standpunktes und der betrachteten Pandemiephase.“ Dazu sei ein Vergleich mit dem Krisenmanagement und der Impfstrategie anderer Länder mit hoch entwickelter medizinischer Versorgung wichtig. Hierzulande, so Baer, „haben wir zu Beginn der Krise insbesondere gesehen, wo unsere Defizite liegen.“ So habe die Pandemie den beklagenswerten Zustand der Digitalisierung in Deutschland, insbesondere im Bereich der Gesundheitsämter, schmerzhaft vor Augen geführt. Aber auch mangelnde Schutzausrüstung und die Folgen einer ins Ausland ausgelagerten Produktion von medizinischem Material, wie etwa von FFP2-Masken und Schutzkitteln, haben im Frühjahr 2020 zu Versorgungsproblemen geführt, die nur durch Improvisation aller an der Gesundheitsfürsorge beteiligten Akteure kompensiert werden konnten. Trotzdem, so Baer, „ist Deutschland gemessen an der Zahl der Covid-19 assoziierten Todesfälle dank hoher intensivmedizinischer Kapazitäten vergleichsweise besser aus der Pandemie gekommen als andere westliche Industrieländer.“ Ein weiteres Manko im deutschen Pandemiemanagement, da sind sich in der Runde alle einig, ist der föderale Krisenwirrwarr der Bundesrepublik gewesen. „Man hat nicht das Gefühl gehabt, dass von einer zentralen Stelle eine Strategie entwickelt wurde“, bemängelt Professor Knut Beitzel, Chefarzt für Schulterchirurgie, Arthroskopie und Sportorthopädie an der ATOS Orthoparc Klinik Köln. Weder vom Bund noch vom Land sei den Medizinern Expertise zur Verfügung gestellt worden.
Kaum Unterstützung für Privatkliniken
Zudem habe sich in der Pandemie ein deutlicher Unterschied zwischen den Plankrankenhäusern und den Privatkliniken gezeigt, so Anne Bentfeld, Geschäftsführerin der Klinik LINKS VOM RHEIN. Die Privatkliniken hätten die Pandemie aus eigener Kraft bewältigen müssen, da die finanzielle und materielle Unterstützung ausschließlich den öffentlichen Einrichtungen zugutegekommen sei. Um dennoch ihren Beitrag zu leisten und gemeinsam mit der Situation umzugehen, hätte die Klinik in enger Abstimmung mit dem Krisenstab der Stadt gehandelt. Von einer generellen Verschiebung planbarer Eingriffe habe sie aber abgesehen, solange der Bedarf an Betten vonseiten der Stadt nicht angefordert wurde. Dass Eingriffe planbar seien, stelle nicht ihre generelle medizinische Notwendigkeit infrage. Sie habe gesagt: „Ich brauche 48 Stunden Vorlauf, dann steht hier alles zur Verfügung. Bis dahin arbeiten wir weiter, um unsere Patienten zu versorgen.“ Hätte sie einfach den Betrieb eingestellt, erklärt die Geschäftsführerin, „wären wir ohne eine Unterstützung vor eine sehr schwierige Situation gestellt gewesen und hätten gleichzeitig dennoch niemandem geholfen.“
Lob für den Kölner Krisenstab
Mehr Eigeninitiative: Das sei ohnehin die Devise der Mediziner in den vergangenen Jahren gewesen. In Köln sei etwa der Krisenstab ein positiver Nebeneffekt der Pandemie, denn der Austausch habe auch das Wir-Gefühl zwischen den Kölner Krankenhäusern gestärkt. Die Kommunikation und gegenseitige Unterstützung habe im Zuge der Coronakrise auch deshalb sehr gut funktioniert. „Es hat einen Paradigmenwechsel gegeben. Weg von: Was sagt das Land? Und hin zu: Wir müssen das jetzt eben selber machen!“, beschreibt Schlesinger die neue Haltung. Optimierungspotential sieht Professor Baer hingegen bei der Logistik für die intensivmedizinische Versorgung in Köln und im Kölner Umland: „Lokale Netzwerke in Kooperation mit Alten- und Pflegeheimen, wie zum Beispiel mit dem Gesundheitsnetz Köln-Süd, haben den Aufnahmedruck auf Kölner Krankenhäuser in den Spitzenzeiten der Pandemie deutlich reduziert. Aber im Hinblick auf die Logistik für intensivmedizinisch zu versorgende Patienten konnte der Krisenstab nicht alles erreichen, was ich mir erhofft habe.“ Dennoch: Die Einrichtung eines zentralen Koordinators für die Beschaffung von Intensivbetten und die Verteilung und Verlegung von Beatmungspatienten zwischen den Kölner Kliniken in Spitzenzeiten der Pandemie sei für Kliniken mit sehr hohen Covid-19-Fallzahlen, wie dem St. Antonius Krankenhaus, eine willkommene Unterstützung gewesen, betont Baer.
Einsamer Krisenstab im Kreis Euskirchen
Im Kreis Euskirchen sei das Erleben insgesamt einsamer als in Köln gewesen, berichtet Professor Dr. Carsten Zobel, Chefarzt der Kardiologie und Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, sowie für Intensivmedizin am Marien Hospital in Euskirchen. Dennoch resümiert er: „Es war vielleicht beschwerlicher, aber ich glaube, wir haben das ganz gut gemeistert.“ Ob in Köln oder im Kreis Euskirchen: „Letztlich haben wir ja alle am Anfang etwas im Trüben gefischt, wie man einen Covid-Patienten optimal behandelt.“ Zobel sieht es daher wie Schlesinger: „So nah war die Medizin schon lange nicht mehr an der Forschung dran, weil man nicht einfach auf Bewährtes zurückgreifen konnte.“
Leidtragende waren die Patienten
Für Dr. Gernot Peter Meyer, Leitender Oberarzt der Chirurgie und Koordinator des Darm- und Pankreaszentrums Rhein-Erft am Dreifaltigkeits- Krankenhaus Wesseling, steht rückblickend bei der Coronabewältigung ein weiterer Punkt im Vordergrund: „Es gab keinen entsprechenden Katastrophenschutz, wie man ihn für eine solche Pandemie benötigt hätte.“ Er und seine Kollegen seien zwar dennoch einigermaßen gut durch die Pandemie gekommen, aber: „Der Hauptpunkt ist natürlich, dass die Patienten darunter gelitten haben – auch wenn viele das vielleicht gar nicht bemerkt haben.“ Denn viele Menschen sind in den vergangenen zwei Jahren mitunter viel zu spät oder gar nicht zum Arzt gegangen – aus Angst, sich dort mit dem Coronavirus zu infizieren. Dadurch sind viele Diagnosen später als zuvor gestellt worden.
Infektionsschutz ist im Krankenhaus sehr gut
Nicht nur für Krebspatienten hat die verspätete Behandlung zu Risiken geführt, weiß der Euskirchener Kardiologe Zobel zu berichten: „Viele Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten sind aus Angst sich anzustecken zu Hause geblieben. Das hat einen großen Schaden angerichtet.“ Aus der Runde hat einzig Beitzel von der Kölner Orthoparc Klinik andere Erfahrungen gemacht. Aufgrund des Lockdowns und des Sportverbots gab es weniger Sportverletzungen und daher insgesamt ein reduziertes Traumaaufkommen bei Kreuzbändern und anderen klassischen Sportverletzungen, berichtet er. Für die größeren Frakturen und Unfälle im Alltag habe es jedoch eine stabile Versorgungssituation gegeben, denn „wer sich ein Bein bricht, dem bleibt nichts anderes übrig“. Begründet seien die Ängste der Leute vor einem erhöhten Infektionsrisiko im Krankenhaus aber nicht, wie Meyer betont: „Ich sage den Leuten immer: Sie sind nirgends sicherer vor Corona, als im Krankenhaus!“ Schließlich sind die Testkonzepte und Schutzvorkehrungen in keinem anderen Bereich so streng wie in den Kliniken. Exorbitante Belastungen für Kliniken und Pflegekräfte Diese Faktoren haben auch die Kliniken selber wirtschaftlich und personell vor große Herausforderungen gestellt. „Die zusätzlichen Ausgaben für Verbrauchsmaterialien in Kombination mit den verminderten Einnahmen durch die Abnahme der geplanten Eingriffe hat trotz der finanziellen Hilfen durch den Staat in vielen Kliniken zu erheblichen finanziellen Schieflagen geführt“, erklärt Zobel.
Ein Maßnahmenbündel ist nötig
Beifall – den gab es zu Beginn der Pandemie reichlich für den Einsatz der Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Geholfen hat er nicht. Denn gerade in der Pflege hat Covid-19 zu extremen Belastungen geführt. Das Problem ist nicht erst durch Corona entstanden, es hat sich aber durch die Pandemie verschärft. „Corona ist nur der Katalysator für dieses grundlegende Problem“, meint Knut Beitzel. Frank Beckers, Chefarzt am St. Vinzenz Hospital und Facharzt für Chirurgie und Thoraxchirurgie, glaubt, dass es sich dabei um ein politisches Problem handelt: „Der Beruf ist nicht attraktiv genug. Geld allein macht nur kurzfristig zufrieden, aber auch die Arbeitsbedingungen sind eine Belastung.“ Was es also brauche, sei ein Bündel an unterschiedlichen Maßnahmen: Eine bessere Bezahlung, attraktivere Arbeitsbedingungen und auch flexiblere Arbeitsmodelle. Das sieht auch Anne Bentfeld so, schließlich gebe es viele Pflegekräfte, die den Job auch heute wieder ergreifen würden. „Aber, wenn die Belastung so exorbitant geworden ist, hilft die Liebe zum Beruf irgendwann auch nicht mehr.“ Für den Leiter des Onkologischen Zentrums am St. Elisabeth Krankenhaus in Köln-Hohenlind, Professor Daniel Rein, ist bei dieser Debatte eine weitere Frage zentral: „Wie viel Daseinsvorsorge will Deutschland sich leisten?“ Denn eine Konsequenz werde es so oder so geben: „Entweder die Krankenkassenbeiträge werden steigen, wenn die Löhne angehoben werden, oder es gehen Krankenhäuser vom Netz und die Versorgung wird schlechter, wenn wir den Personalmangel nicht beheben können.“
Was erwartet uns im Herbst?
Soweit der Blick zurück. Bleibt die Frage, was uns im Herbst bevorsteht. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir einen weiteren Lockdown erleben werden“, zeigt sich Gernot Peter Meyer zuversichtlich. Frank Beckers hingegen ist vorsichtiger: „Ich habe eines gelernt: Ich scheue mich davor, valide Prognosen abzugeben. Es muss nur die entsprechende Variante kommen, die hochinfektiös ist.“ Ob wir für den Fall dieses Mal besser vorbereitet sind, als in den vorherigen Coronawellen? In den Krankenhäusern, so heißt es einvernehmlich, sei das der Fall. Ob das auch für Politik und die Gesellschaft gelte, sei allerdings weniger sicher. Carsten Zobel sieht vor allem die stagnierende Impfquote kritisch, „denn die Ungeimpften haben ein deutlich höheres Risiko, im Herbst mit einer schweren Covid-19-Erkrankung in den Kliniken zu landen.“ Für eine allgemeine Impfpflicht sprechen sich die Ärzte deshalb einstimmig aus. Denn wenn in dieser Pandemie etwas Hoffnung macht, dann die Impfung, betont Zobel: „Zu Beginn der Coronakrise hatten wir Inzidenzen von 20 oder 30 und dennoch lagen viele schwer kranke Patienten auf den Intensivstationen. In der Omikron-Welle hatten wir Inzidenzen jenseits der 1.000 und sind viel besser durchgekommen – und zwar Dank der Impfung.“ Rebecca Lessmann
Die Teilnehmer des runden Tisches
„Ohne Unterstützung wären wir vor eine sehr schwierige Situation gestellt worden.“
Anne Bentfeld, Geschäftsführerin der Klinik LINKS VOM RHEIN Köln
„Die Arbeitsbedingungen sind eine Belastung.“
Frank Beckers, Chefarzt am St. Vinzenz Hospital Köln
„Dieses Virus ist eine unglaubliche Erkrankung, sowas erlebt man als Mediziner vielleicht alle 100 Jahre.“
Dr. Andreas Schlesinger, Chefarzt und Ärztlicher Direktor St. Marien-Hospital Köln
„Deutschland ist besser durch die Pandemie gekommen, als andere westliche Industrieländer.“
Professor Dr. Frank M. Baer, Ärztlicher Direktor des St. Antonius Krankenhauses Köln-Bayenthal
„Es gab keinen entsprechenden Katastrophenschutz.“
Dr. Gernot Peter Meyer, Leitender Oberarzt der Chirurgie am Dreifaltigkeits- Krankenhaus Wesseling
„Entweder die Beiträge steigern oder die Versorgung wird schlechter.“
Professor Dr. Daniel Rein, Leiter des Onkologischen Zentrums am St. Elisabeth Krankenhaus in Köln-Hohenlind
„Man hat nicht das Gefühl gehabt, dass von einer zentralen Stelle eine Strategie entwickelt wurde.“
Professor Dr. Knut Beitzel, Chefarzt für Schulterchirurgie, Arthroskopie und Sportorthopädie an der ATOS Orthoparc Klinik Köln
„So nah war die Medizin schon lange nicht mehr an der Forschung dran.“
Professor Dr. Carsten Zobel, Chefarzt der Kardiologie am Marien Hospital Euskirchen
Der Runde Tisch
Der Runde Tisch ist eine Veranstaltung des Medienhauses DuMont Rheinland. Regelmäßig bitten „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Kölnische Rundschau Spitzenvertreter verschiedener Wirtschaftszweige und Institutionen zum informellen Austausch. Die Gesprächsrunden finden zu überregionalen und lokalen Themen statt.